Altersitz mit hohem Wohfühlfaktor
Altersitz mit hohem Wohfühlfaktor
Oktober 2010 Text von Harald Flößer / EZ:
Erika und Ulrich Viefhaus haben Essen und Trinken hergerichtet. Die lieben Nachbarn kommen. Dieses Attribut ist nicht nur so dahin gesagt, sondern ernst gemeint. Man schätzt sich in den Häusern 37 und 39 in der Helene-Lange-Straße im. Scharnhauser Park. Und kaum haben alle Gäste im Viefhausschen Wohnzimmer Platz genommen, spürt man: Das ist mehr als nur eine gute Hausgemeinschaft. Unter den hier • Wohnenden herrscht große Vertrautheit — wie unter Freunden. Die allgemeine Zufriedenheit ist greifbar. Günther Köhler fasst sie in Worte: „Da könnten uns viele drum beneiden." Der 78-Jährige ist einer von elf Altenknüpfern. So nennt sich die Gruppe von Senioren, die im Scharnhauser Park alles gefunden haben, was sie sich für ihr Leben im Ruhestand wünschen: eine schöne, ganz oder weitgehend barrierefreie Wohnung in einem Stadtteil mit ausgezeichneter Infrastruktur und Anschluss ans Stadtbahnnetz und — mindestens ebenso wichtig — ein beispielhaftes soziales Netzwerk.
Jeder hat sein eigenes Reich
„Gemeinsam statt einsam" lautet ein Wahlspruch der Altenknüpfer. Wobei dieser einer Einschränkung bedarf: Jeder kann das Miteinander und die Nähe nach Belieben dosieren. Denn die Gruppe ist keine Senioren-WG im klassischen Sinne. Es gibt keine Gemeinschaftsräume. Jeder hat sein eigenes Reich und kann sein eigenes Leben führen. Das heißt, es gibt keinen Zwang .zur Gemeinschaft. Aber jeder weiß: Um mich herum wohnen Menschen, bei denen man jederzeit anklopfen kann, Menschen, die sich kümmern und die auf die anderen achten. Und, sei es nur mit kleinen Gesten und Zeichen. Frühaufsteherin Pia Balle zum Beispiel hat ein einfaches Mittel gefunden, um den anderen zu signalisieren: „Mit geht es gut. Ihr braucht nicht nach mir zu schauen." Sie legt einfach einen Stein mit zur Zeitung oder zu anderen Dingen, die sie für die Nachbarn besorgt. Bei der 79-Jährigen hat das eine besondere Bewandtnis, denn sie ist nach dem Tod ihres Mannes die einzige Alleinlebende in der Elfer-Gemeinschaft.Dass die Gruppe zueinander gefunden hat, ist kein Zufall. Wer den Anstoß gegeben hat? Ulrich Viefhaus deutet auf Claus Sendler: „Er ist unser spiritus rector.“ 2000 ging er mit 65 Jahren in den Ruhestand, Und dafür hatte er gewisse Vorstellungen. Mit seiner Frau Elke stieß der Stuttgarter auf ein interessantes Objekt im damals noch in weiten Teilen unbebauten Scharnhauser Park. Doch das allein genügte Sendler nicht. Gezielt suchte er sich Leute, bei denen er das Gefühl hatte: Die haben ganz ähnliche Vorstellungen und da stimmt die Chemie. Sendlers kannten die Viefhausens. Die wiederum wussten von Köhlers, dass sie sich was Neues für das Alter suchten. Und so wuchs die Schar der Interessenten. Man ging gemeinsam essen, um sich zu beschnuppern. So wuchs in der Gruppe das Gefühl: Das könnte klappen. „Ich wollte einfach eine gute Nachbarschaft", sagt Claus Sendler rückblickend. Heute freut er sich, dass noch mehr daraus geworden ist: Netzwerke und Freundschaften. Auch Sonja Wörtmann und ihr Mann Jürgen sind froh, sich für die Gemeinschaft in der Helene-Lange-Straße entschieden zu haben. Nicht nur, weil ihr früheres Haus in Stuttgarter Hanglage alles andere als seniorengerecht war, sondern weil man in ihrem neuen Zuhause aufeinander achtet. Das bedeute Lebensqualität. Allen, die Ähnliches für ihren Ruhestand planen, kann Sonja Wörtmann nur raten, es den Altenknüpfern gleichzutun. Nur dürfe die Gruppe nicht größer werden.
Kaffee und Informationen
Die Altenknüpfer pflegen ihre Gemeinschaft. Man hilft sich gegenseitig, trifft sich, um miteinander ins Kino zu gehen oder verbringt einen. vergnüglichen Abend in einem Besen. Einmal im Monat ist großes Frühstückstreffen, immer bei einem anderen. Doch sind die Zusammenkünfte kein Kaffeeklatsch. Für jedes Treffen wird ein Thema gewählt, das irgendwie mit der Situation von Senioren zusammen hängt. Mal geht es um Sicherheit, dann lädt sich die Gruppe einen Arzt ein, ein anderes Mal spricht man mit Fachleuten über die Themen Demenz oder Depression. Vor kurzem war Herbert Rösch, Ostfilderns früherer OB, zu Gast bei den Altenknüpfern. Er berichtete über das aktuelle Bauprojekt der Gradmann-Stiftung, das sogenannte Nachbarschaftshaus neben der Landschaftstreppe.
Neujahrsfest in der Waschküche
Stolz sind die Altenknüpfer darauf, dass sich der Geist ihrer Gemeinschaft in den Häusern 37 und 39 fortgepflanzt hat. Hier wohnen längst nicht nur Senioren. „Wir sind ein Mehrgenerationenhaus", sagt Ulrich Viefhaus. Und es gibt ein buntes Gemisch von Kulturen und Ethnien. Dass die Hausgemeinschaft prima funktioniert, kommt nicht von ungefähr, denn auch sie wird gepflegt. Zum Beispiel mit einer Putzete in den Außenanlagen oder mit dem Waschküchenfest in Haus 39. Immer ein paar Tage nach Neujahr trifft man sich dort, um Rückschau zu halten und auf die beginnende Faschingszeit anzustoßen.